by Alex Rühle
BIO: Alex Rühle wurde 1969 geboren und wuchs in den Isarauen auf, wo er eines Tages Andreas Zielcke über den Weg lief. Der nahm ihn mit zur SZ, wo Rühle seither Junge für alles ist. Wenn er nicht im Büro ist, sitzt er entweder auf seinem Fahrrad, spielt was von Bach oder schaut seinen Kindern beim Großwerden zu.
Sandy zum Beispiel. Der Hurrikan, der 2012 große Gebiete New Yorks unter Wasser setzte, darunter Chelsea, einen Stadtteil, in dem jeder zweite Bewohner Künstler, Filmemacher oder Schriftsteller ist. Viele von ihnen wurden schwer getroffen von der Sturmflut, Ateliers versanken, Wohnungen wurden wertlos. Aber hat auch nur einer von ihnen über die konkreten Auswirkungen einen Film gedreht, einen Roman geschrieben, eine Bilderserie gemacht? Nichts dergleichen. Allgemeiner gesprochen: Es gibt mittlerweile haufenweise "Cli-fi"-Szenarios, apokalyptische Totalkatastrophen, Auslöschung in Cinemascope. Aber kaum etwas über das, was konkret vor unser aller Augen passiert. Oder wie der indische Schriftsteller Amitav Gosh es ausdrückt: "Es wurden unzählige Romane geschrieben und Filme gedreht über den möglichen Totaluntergang New Yorks. Aber es gibt kein einziges Werk über seinen tatsächlichen Untergang."
Gosh hat soeben ein Buch in Essayform über dieses rätselhafte Vakuum geschrieben. "The Great Derangement" dreht sich um die Frage, warum die Künste den Klimawandel bislang kaum bearbeiten. "Spätere Generationen", so schreibt er, "werden zu dem Urteil kommen, dass in unserer Zeit die Künste allesamt nur noch dazu dienen, die Wirklichkeit zu verschleiern und abzumildern. Diese Epoche, die so unglaublich stolz ist auf ihre Selbsterkenntnis, wird eines Tages als die Epoche der großen Umnachtung gelten."Vielleicht sollte man Gosh ein Ticket nach Bonn kaufen. Für die dortige Bundeskunsthalle. In der Ausstellung "Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft" wird nämlich der Versuch unternommen, Kunst und Wetter, Kultur und Klimaforschung miteinander in Beziehung zu setzen. Die Kuratoren Stephan Andreae und Ralf Burmester lassen die Besucher einen Tag durchschreiten, von der Morgendämmerung bis in die Nacht und teilen die verschiedenen Wetterphänomene - Sturm, Regen, Wolken - unterschiedlichen Tageszeiten zu, was so simpel wie stimmig ist, schließlich hängen Wetter und Zeit untrennbar miteinander zusammen, ja in vielen Sprachen verschmelzen die chronologische Zeit und das atmosphärische Wetter zu ein und demselben Wort, man denke an das französische "temps" oder das italienische "tiempo".
Nun ist Wetter das, was wir täglich erleben, während sich Klimazustände erst aus mehreren Jahrzehnten Wetterdaten ablesen lassen. So geht es hier immer zugleich um das Große Ganze und den kleinen Schauer, den örtlichen Sturm und die globale Erwärmung. Und es geht zugleich darum, wissenschaftliche Entdeckungen und Kunstwerke einander spiegeln zu lassen. Wie bedingen Klima und Kultur einander? Was wissen wir über das Wetter? Seit wann? Und wie wurden die jeweiligen Entdeckungen in der Kunst verarbeitet?
Sandy, for example. The Hurricane, which put 2012 large areas of New York under water, including Chelsea, a district where every second resident is an artist, filmmaker or writer. Many of them were hit hard by the storm surge, studios sank, dwellings became worthless. And yes, a few writers have made a film about the concrete impact, written a novel, made a picture series, yes, contrary to what Ghosh, who did not do his homework, says. So there is some of that. See cli-fi.net
More generally, there are now cli-fi scenarios, apocalyptic total catastrophes, extinction in cinemascope. But hardly anything about what actually happens before our eyes. Or, as the Indian writer Amitav Gosh puts it: "There have been countless novels written and films shot about the possible sunset of New York, but there is not a single work about its actual downfall." But Ghosh who did not do his homework is wrong. See for example Nathaniel Rich's ODDS AGAINST TOMORROW and Kim Stanley Robinson's NEW YORK 2140.
Gosh has written a book "The Great Derangement" that revolves around calling for the arts to work harder on writing and movies on climate change. That's why cli-fi was coined. "Later generations," he writes, "will come to the conclusion that in our time the arts are all about disguising and lessening reality. This era, which is so incredibly proud of its self-knowledge, will one day as the epoch of great disrespect, if we do not write more cli-fi now as soon as possible."
Maybe you should buy Gosh a ticket to Bonn. Good idea! Maybe he will wake up to all this. For the Federal Art Hall there. In the exhibition "Weather Report on Weather Culture and Climate Science" an attempt is made to relate art and weather, culture and climate research. The curators Stephan Andreae and Ralf Burmester let the visitors walk through one day, from the dawn to the night, and share the different weather phenomena - storm, rain, clouds - different times of the day, which is as simple as it is harmonious together, and in many languages, the chronological time and the atmospheric weather merge into the same word, think of the French "temps" or the Italian "tiempo".
Now weather is what we experience every day, while climatic conditions can only be seen from several decades of weather data. This is always the case at the same time around the big picture and the small showers, the local storm and the global warming. At the same time, it is a question of making scientific discoveries and works of art mirror each other. How do climate and culture require each other? What do we know about the weather? Since when? And how were the respective discoveries processed in art?
Ein Beispiel: Wolken waren in der Geschichte der Menschheit immer nur Wolken. Selbst die klassifizierungswütigen Europäer hatten nie daran gedacht, all diese Haufen und Schlieren am Himmel genauer zu untersuchen, zu flüchtig waren sie in ihrer Erscheinung, Wettamorphose in Reinkultur. Bis sich der Engländer Luke Howard vor den Toren Londons ins Gras legte. Der schweigsame Einzelgänger schaute jahrelang den Wolken beim Ziehen zu. 1802 hielt der völlig unbekannte Apotheker dann vor der Askesian Society in London seinen bahnbrechenden Vortrag "On the modification of clouds", indem er die Wolken in unterschiedliche Kategorien einteilte. In Anlehnung an Carl von Linnés Systematisierung der Pflanzen- und Tierwelt wählte Howard lateinische Bezeichnungen für seine Wolkentypen, seither schweben Cirrus-, Cumulus- und Stratuswolken durch die Welt.
Die Bundeskunsthalle zeigt Howards Skizzen, luftig-zarte und dabei sehr akkurate Aquarelle, die aber so leise wirken wie die auf ihnen abgebildeten Wolken. Ihnen gegenüber hängen Gemälde von John Constable, wuchtige Landschaftsbilder, hochdramatisches Wolkengequirl über scharf ausgeleuchteten Hügellandschaften. Constables Bilder sind direkte Antworten auf Howards Studien: Der Maler kannte dessen "Modification of clouds", seine Bilder wirken wie subjektive Antworten auf Howards kühle Feststellungen. Das wirkt in der Gegenüberstellung, als hätte Wagner mathematische Formeln vertont.
Im Grunde will diese ganze Ausstellung den Blick so umdrehen: Wir Menschen sind nur zu Gast, winzige Wesen in einem großartigen Spektakel, dessen Zusammenhänge uns erst langsam und vielleicht zu spät klar werden. William Turners Atmosphärenbilder, die letzten Exponate in diesem Raum über Wolken, sind im Vergleich mit Constable und Steinberg von unglaublicher Farbintensität, flirrend, schlierig und verschwommen. Direkt daneben steht ein filigranes Messgerät für Aerosole, das angibt, wieviele Schwebeteilchen sich in einem Gas befinden. So wird angedeutet, welche unsichtbaren Ingredienzen durch viele Turnersche Sonnenuntergänge schweben: Der Ausbruch des Tambora auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien 1815 führte in den darauffolgenden Jahren zu einem globalen Kälteeinbruch und zu spektakulären Sonnenuntergängen. Turner wusste nichts davon, als er seine rosalila Farbsalven komponierte.
"Mir bleibt nichts anderes übrig, als fest an die Möglichkeit zu glauben, dass wir eine komplette Destabilisierung des Klimas noch verhindern können." -- Hans Joachim Schellnhuber
"I have no choice but to firmly believe in the possibility that we can still prevent a complete destabilization of the climate." -- Hans Joachim Schellnhuber
For example, clouds were always clouds in the history of mankind. Even the classifying Europeans had never thought of examining all these heaps and streaks in the sky, they were too fleeting in their appearance, betamorphosis in reink culture. Until the Englishman Luke Howard lay before the gates of London in the grass. The silent loner looked up at the clouds for years. In 1802, the completely unknown pharmacist held his groundbreaking lecture "On the modification of clouds" before the Askesian Society in London, dividing the clouds into different categories. In accordance with Carl von Linné's systematization of the plant and animal world, Howard chose Latin names for his Wolk types, since then Cirrus, Cumulus and Stratuswolken hover throughout the world.
The Federal Art Gallery shows Howard's sketches, airy, delicate and very accurate watercolors, which, however, appear as soft as the clouds depicted on them. Opposite you are paintings by John Constable, powerful landscape images, highly dramatic cloud whirling over sharp illuminated hillsides. Constable pictures are direct answers to Howard's studies: The painter knew his "Modification of clouds," his pictures seem like subjective answers to Howard's cool findings. This seems to be the opposite of Wagner's mathematical formulas.
Behind Constable's exaggerated dramas hang sky studies by New York artist Saul Steinberg, who radically turn around our barren, human-centric perspective: every time there are black stick figures on the floor of the picture. Above it, however, an ever different sky spreads out, sometimes compact, sometimes pink, sometimes dramatically black, sometimes lovely blue. What is man against Nature?
Basically, this whole exhibition wants to turn the view like this: We humans are only guests, tiny beings in a great spectacle whose connections are only slowly and perhaps too late. William Turner's atmospheric images, the last exhibits in this space above clouds, are incomparably colorful, fluttering, fuzzy and blurred compared to Constable and Steinberg. Directly beside it stands a filigree measuring device for aerosols, which indicates how many suspended particles are in a gas. In the following years, the eruption of the Tambora on the island of Sumbawa in Indonesia in 1815 led to a global cold collapse and spectacular sunsets. Turner did not know about it when he composed his rosalila color albums.
Eine Vitrine erinnert an den Engländer Robert FitzRoy, den tragischen Erfinder der Wettervorhersage. Der Seemann und Wissenschaftler wurde nach einem Schiffsunglück 1861 mit dem Aufbau eines landesweiten Sturmwarnsystems beauftragt. Da er dafür aber nur auf Messdaten auf den britischen Inseln zurückgreifen konnte, ohne etwas über die Wetterverhältnisse auf dem Atlantik zu wissen, lag er so oft falsch und erntete soviel Spott, dass er in Depressionen verfiel und sich 1865 das Leben nahm. Geradezu tragisch liest sich in dem Zusammenhang das Interview im Katalog mit dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der auf die Eingangsfrage, ob er als Berater der Bundesregierung nicht oft verzweifle, salomonisch antwortet: "Mir bleibt nichts anderes übrig, als fest an die Möglichkeit zu glauben, dass wir eine komplette Destabilisierung des Klimas noch verhindern können." Er gibt der Menschheit eine Chance von 1:5, dass sie das Schlimmste noch verhindert. FitzRoy wusste noch nichts über das Wetter, einer wie Schellnhuber weiß enorm viel über Klimazusammenhänge, trotzdem hört die Politik kaum wirklich zu.
Im November findet in Bonn die 23. Weltklimakonferenz statt. Hoffentlich schauen viele der Teilnehmer in einer der Verhandlungspausen hier vorbei.
Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft. Bundeskunsthalle Bonn, Bonn. Bis 4. März 2018. Der Katalog kostet 45 Euro.
A showcase reminiscent of the Englishman named Robert FitzRoy, the tragic inventor of the weather prediction.
After a shipwreck in 1861, the sailor and scientist was commissioned to build a countrywide storm warning system. Since he was only able to make use of the data on the British Isles without knowing anything about the weather conditions on the Atlantic, he was so often wrong that he got so much ridicule that he fell into depression and died in 1865.
The interview in the catalog with the climate researcher Hans Joachim Schellnhuber is particularly tragic, and he asks whether he, as an advisor to the Federal Government, often answers desperately, salomonically: "I have no choice but to believe in the possibility that we can still prevent a complete destabilization of the climate. "
He gives mankind a chance of 1: 5 to prevent the worst. FitzRoy did not know anything about the weather, one like Schellnhuber knows a lot about the climate, but politicians hardly really listen.
The 23rd World Climate Conference will take place in Bonn in November 2017. Hopefully, many of the participants will stop by at one of the negotiation breaks.
Weather. About weather culture and climate science. Bundeskunsthalle Bonn, Bonn, Germany. Until March 4, 2018. The catalog costs 45 euros.
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